10 Jahre Versöhnungsprozess in Australien

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10 Jahre Versöhnungsprozess in Australien

Bilanz des Rates zur Versöhnung mit den Aborigines

Katharina Lorenz


01. Januar 2001

1991 richtete die damalige, sozialdemokratisch geführte Regierung Australiens den Rat zur Versöhnung mit den Aborigines ("Council for Aboriginal Reconciliation") ein. Er sollte die Australier über die Geschichte und heutigen Lebensumstände der Ureinwohner des Kontinents aufklären, um eine eine Basis für das gleichberechtigte Zusammenleben von indigener und nicht-indigener Bevölkerung zu schaffen. Am Ende des auf 10 Jahre festgelegten Prozesses sollte mit Blick auf das 100-jährige Jubiläum der australischen Verfassung im Jahr 2001 ein Dokument erstellt und übergeben werden, das Vorschläge an die Regierung zur Versöhnung der Bevölkerungsgruppen Australiens enthält. Unklar blieb jedoch, ob es sich dabei um einen Vertrag mit bindendem Charakter oder um eine reine Absichtserklärung handeln sollte.

Die Australien weite Bewegung zur Versöhnung hat im vergangenen Jahrzehnt viel dazu beigetragen, dass Vertrauen und Verständnis zwischen den Aborigines und den Torres Strait Islanders auf der einen Seite sowie der übrigen australischen Gesellschaft überhaupt entstehen konnten. Die Vorsitzende des Versöhnungsrates, Evelyn Scott: "Die größte Leistung ist, dass nun nahezu 50 Prozent der australischen Bevölkerung den Versöhnungsprozess ohne den Schatten eines Zweifels annehmen." Dieser Teil der Bevölkerung bekundete seine Sympathie zum Beispiel in zahlreichen Versöhnungsmärschen in allen größeren Städten des Landes, zuletzt in Melbourne im Dezember 2000 mit 400.000 Teilnehmern. Der stellvertretende Vorsitzende des Rates, Sir Gustav Nossal, stellte fest: "Unsere Bewegung ist nicht mehr zu stoppen."

Nach einer im Dezember 2000 veröffentlichten Umfrage ("Newspoll"-Studie) meinen 81 Prozent der Befragten, dass der Prozess der Versöhnung zwischen indigener und nicht-indigener Bevölkerung in Australien wichtig sei. Und mehr als 60 Prozent sind der Überzeugung, dass die Regierung die Aborigines als ursprüngliche Eigentümer des widerrechtlich von ihnen geraubten Landes offiziell anerkennen sollte.

Die selbe Studie fördert jedoch auch zutage, dass 62 Prozent der australischen Bevölkerung eine offizielle Entschuldigung gegenüber der indigenen Bevölkerung durch die australische Regierung nicht für notwendig halten. Und obwohl alle verfügbaren statistischen Zahlen zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation der Aborigines und der Torres Strait Islanders nachweisen, dass diese die am meisten benachteiligten Gruppe von Australiern sind, bezweifelt dies immer noch gut die Hälfte (52 Prozent) der Befragten. Die Lebenserwartung der Aborigines liegt immer noch um 20 Jahre unter derjenigen der übrigen Bevölkerung, die Gesundheitsstatistiken weisen die schlechtesten Werte aller indigenen Völker weltweit auf. Erst 1967 erhielten die Aborigines die australischen Bürgerrechte.

Die Einrichtung des "Council for Aboriginal Reconciliation" und das gewachsene Problembewusstsein für die Situation der indigenen Bevölkerung hat an der realen Lage der Aborigines keine grundlegenden Änderungen bewirken können. So belegt der abschließende Bericht des Rates zur Versöhnung mit den Aborigines eindrucksvoll, dass die Vorurteile in der weißen Bevölkerung noch lange nicht abgebaut sind und das größte Hindernis im Versöhnungsprozess darstellen. Die Aborigines und die Insulaner der Torres Strait haben tagtäglich mit Ignoranz, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen. Sie stoßen auf Vorbehalte und offene Diskriminierung, wenn sie eine Wohnung mieten, eine Arbeit finden, ein Taxi nehmen oder einfach in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen bedient werden möchten.

Der unterschwellige Rassismus setzt sich zumindest unter der jetzigen Regierung auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger fort, die weder zu einer Entschuldigung noch zu einer vertraglichen Regelung zur Bewältigung der Vergangenheit bereit sind. Dabei war der multikulturelle Ansatz schon einmal Politik. Die 1972 ins Amt gekommene sozialdemokratische Regierung führte den Begriff der "Selbstbestimmung" in den politischen Diskurs ein. Dies führte immerhin dazu, dass die Verwaltung der Aborigine-Gemeinschaften auf die Aborigines übergehen konnte. Bis dato standen sie ausnahmslos unter staatlicher Vormundschaft.

Anlässlich des von der UNO ausgerufenen Internationalen Jahrs der indigenen Völker 1993 erklärte der damalige Premierminister Paul Keating, dass die von den Kolonisatoren abstammenden Australier verantwortlich seien für die Zerstörung der traditionellen Lebensweise der ursprünglichen Bevölkerung des Kontinents. Gerechte Lösungen für die Probleme der ersten Australier müssten gefunden werden, wenn man eine wohlhabende und multikulturelle Gesellschaft in Australien schaffen wolle, die diesen Namen auch verdient. Er plädierte für gegenseitiges Verständnis und Versöhnung: "Es mag helfen, wenn wir, die nicht zu den Ureinwohnern gehörenden Australier, uns vorstellen würden, dass uns das Land, in dem wir seit 50.000 Jahren gelebt hätten, genommen würde, und wir dann noch gesagt bekämen, es sei nie unser Land gewesen. Wir sollten uns vorstellen, wir hätten die älteste Kultur der Erde und bekämen gesagt, sie sei wertlos."

Die derzeitige, konservative Regierungskoalition hat sich dem Motto einer fairen Chance für alle ("a fair go for everyone") nicht angeschlossen. Im Gegenteil: In den letzten Jahren von den Aborigines errungenen Rechte, insbesondere die Anerkennung ihrer Landrechte ("native title") am traditionell genutzten Land etwa durch das Mabo-Urteil von 1992 und das Wyk-Urteil (Text nur in Englisch verfügbar!) von 1996, werden von der seit 1996 amtierenden Regierung Howard wieder beschnitten. Allein in den letzten vier Jahren sind 470 Millionen DM bei den Programmen zur sozialen Förderung der Aborigines eingespart worden. Und auch politische Entgleisungen des Premierministers oder des jetzigen Ministers für Aborigine-Angelegenheiten, Philip Ruddock, sind an der Tagesordnung.

Seinen abschließenden Bericht legte der Rat zur Versöhnung mit den Aborigines am 7. Dezember 2000 vor. Er forderte darin von der Regierung, sich der Diskriminierung der Aborigines offensiv entgegenzustellen. Dazu gehört zum einen, die Aborigines und Torres Strait Islanders als Ureinwohner Australiens in der Präambel der australischen Verfassung anzuerkennen. Zum anderen soll die Präambel den Zusatz erhalten, dass Benachteiligung aus rassischen Gründen gegen die Verfassung verstößt. Die Chancen, dass der jetzige Premier dem zustimmt, stehen denkbar schlecht.

Der einzige Aborigine im 224-köpfigen Parlament in Canberra, Senator Aden Ridgeway, Mitglied der Demokratischen Partei, meint dazu: "Eine Entschuldigung des Staates sollte nicht aus Schuld oder Wut erfolgen. Dies würde nur die Opfermentalität verstärken. Die Gesellschaft sollte die Vergangenheit nicht leugnen, sondern sie in aller Offenheit annehmen. Sie ist Teil dessen, was jeder von uns verkörpert, ob weiß oder schwarz." Und: "Es ist die Generation des Premierministers, die nichts aus der Vergangenheit gelernt hat. Im Jahre 2020 wird eine jüngere Generation dran sein, die über die alte Zeit die Wahrheit wissen wird."


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