Das Batavia Drama

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ditido
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Das Batavia Drama

Post by ditido »

Das Batavia Drama
Eigentlich war es eine sternenklare Nacht unter der die Batavia, ein Schiff der VOC, am 26. Oktober 1628 gestartet in den Niederlanden, auf einer Erstreise, etwa 60 km vor der Westküste Australiens in Höhe des heutigen Geraldton in Richtung Batavia segelte. Gegen 03.00 Uhr meldete der Mann im Ausguck „Brandung voraus!“ Aber der Dienst habende Offizier deutet es als Reflektion des Mondlichtes, behielt den Kurs bei und kurze Zeit später strandete das Schiff an den Klippen des Riffs des Abrolhos Islands. Unrettbar. Auf dem Schiff befanden sich 341 Personen (andere Darstellungen sprechen von 316 Personen), Kisten mit Gold und Silber, Perlen, Gewürze und andere Raritäten.
Zum Zeitpunkt des Kenterns lag Kapitän Pelsaert krank in seiner Kajüte. Pelsaert war ein Kaufmann, der von der VOC als Kommandant eingesetzt war, um die merkantilen Interessen der Gesellschaft zu vertreten. Ihm zur Seite stand der Seemann Jacobsz. Beide kannten sich von einer vorherigen Fahrt, beide hatten dauernd Kompetenzrangeleien. Eigentlich waren sie erbitterte Feinde. Die Auseinandersetzungen während der Fahrt waren derart, dass der etwas leichtsinnige und wohl auch voreilige Jacobsz sogar mit dem Gedanken spielte, das Schiff zu übernehmen, um ein Pirat zu werden. In seinem Hass suchte er einen Verbündeten. Häufig sprach er über seine Probleme mit dem Kleinhändler Cornelisz, den die VOC als zweiter Hauptmann auf dem Schiff einsetzte, und der Befehlsgewalt über die Soldaten hatte. Cornelisz war ein gescheiterter Apotheker, der nach dem Tod seiner Tochter an Syphilis, verachtet von seiner Verwandtschaft, zum religiösen Eiferer wurde. Im gefiel die Idee der Meuterei und beide beabsichtigten, eine dem Kapitän nahe stehende Dame, Lucretia van der Miljlen, die sich auf der Reise zu ihrem Ehemann befand, anzugreifen bzw. aufdringlich zu belästigen. Der Kapitän wäre so gezwungen, Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Das wäre das Zeichen zur Meuterei. 36 Mitverschwörer sollten die Soldaten töten, Pelsaert über Bord den Haifischen überlassen. Aber dieser Plan scheiterte nunmehr durch das Kentern des Schiffes. Es musste eine Entscheidung getroffen werden. Pelsaert, auf Deck gekommen, war unschlüssig. Das Schiff schien verloren. Es galt die Passagiere (Männer, Frauen und Kinder) zu retten. In dieser Zeit tat sich Cornelisz mit gespielter Selbstsicherheit und Optimismus hervor, gewann das Vertrauen vieler Mitreisenden. Er beteiligte sich auch sehr aktiv an der Organisation der Rettung auf zwei nahe gelegene Inseln. Der Transport von einer ausreichenden Menge Nahrung, Wasser und Gegenständen zum Überleben auf die Inseln hatte Vorrang. Denn dort hatten Suchtrupps kein Wasser gefunden. Nach 11 Tagen des Ausharrens auf dem Wrackteil wurde evakuiert. Die Rettungsaktion klappte. Nur sechs Menschen ertranken. Als Letzter kam auch Cornelisz auf die Insel. Seine Rettung gestaltete sich schon etwas kurios. Er traute sich nicht auf die Inseln zu kommen, da er, wie er kleinlaut zugab, nicht Schwimmen konnte. Die Seeleute holten ihn.
Die Passagiere und die Mannschaft waren nunmehr auf den Inseln in vorübergehender Sicherheit. Man brauchte Hilfe. Aber woher? Kapitän Pelsaert entschied, in Begleitung von Jacobsz und weiteren 46 Seeleuten mit den beiden geretteten Schaluppen nach Batavia zu segeln, um Hilfe zu holen. Und am 7. Juli, nach weniger als einen Monat Fahrt, erreichte er, ohne dass einer der Begleiter starb, Batavia. Jacobsz wird wegen grober Pflichtverletzung arretiert. Und Pelsaert startet mit einem Ersatzschiff Sardam zur Rettung der Schiffsbrüchigen und zur Bergung der Schätze.
Auf den Abrolhos spielte sich inzwischen ein Drama unglaublicher Brutalität ab. Der ob seiner Dienststellung als Vorgesetzter anerkannte Cornelisz übernahm das Kommando. Er regelte die Verteilung des Wassers, requirierte sämtliche Waffen und hatte auch die Aufsicht über die Lebensmittel. Als erstes schickte er den Soldaten Wiebke Hayes, der bei vielen Entscheidungen von Cornelisz in einer offenen, aber keineswegs feindlichen Opposition auftrat, zu einer Patrouille weg. Er sollte mit einer Gruppe von 20 weiteren Soldaten auf den Inseln einen besseren, geschützten Platz suchen. Als Hayes mit seinen Männern weg war, startet Cornelisz eine unglaubliche Mordserie. Jeder, der ihm nicht passte, der seinen religiösen Wahnvorstellungen nicht zustimmte, wurde getötet.
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Schon die Bitte nach Wasser reichte als Grund. Jetzt nannte sich Cornelisz Gouverneur und übte ein Schreckenregime aus, wo Vergewaltigung und Tötung beim geringsten Widerspruch folgten. 125 Menschen wurden so ermordet und in Massengräbern verscharrt. Hayes hatte mit seinen Leuten auf einer Nebeninsel wirklich einen besseren Platz gefunden. Vor allem mit Wasser. Er gab die verabredeten Rauchzeichen und wunderte sich, dass diese nicht beantwortet wurden. Aber er nutzte die Zeit und errichtete ein kleines Fort. Bald berichteten ihm auf Flössen, Einbäumen oder durch Schwimmen desertierte Soldaten über die Vorgänge auf der Nebeninsel und über die Absicht von Cornelisz, das Fort zu stürmen. So konnte sich Hayes vorbereiten, seine Männer im Gebrauch der Waffen einweisen. In der letzten Juliwoche versuchte Cornelisz zwei Mal, das Fort zu erobern. Er wurde jedes Mal zurückgedrängt. Am 17. September erreichte Pelsaert die Unglücksstelle. Hayes gelang es, mit ihm zu sprechen. Er warnte Pelsaert auch vor den Plänen des Cornelisz, das Ersatzschiff zu kapern und mit dem Silber eine Piratenkarriere zu beginnen. Cornelisz und die Meuterer wurden festgenommen und verhört. Da war man damals nicht zimperlich. Die meisten Meuterer wurden sofort zum Tode verurteilt. Vorher sollten ihnen beide Hände abgeschlagen werden. Auch im Arrest hatte Cornelisz noch soviel kriminelle Energie, dass er eine erneute Revolte versuchte. Daraufhin wurde ihm sofort die rechte Hand abgeschlagen und man hängte ihn am folgenden Tag zusammen mit sieben anderen Meuterern, denen ebenfalls unter dem Galgen lediglich die rechte Hand fehlte. Das oblag damals der Machtbefugnis eines Kapitäns. Und der war glücklicherweise kein deutscher Richter. Einige der Meuterer wurden nach Batavia zur Verurteilung mitgenommen. Zwei der Aufrührer, den Soldaten Wouter Loos und den Schiffsjunge Jan Pelgrom de Bye, ließ Pelsaert auf dem australischen Festland nahe der Mündung des Murchison Rivers aussetzen. Sie wurden somit zu Australiens ersten europäischen Siedlern!
Pelsaert versuchte die Schätze der gesunkenen Batavia, die angeblich Cornelisz vergraben haben sollte, zu finden. Seine Suchkommandos kamen aber nicht zurück. Man vermutet, dass sie bei dem wirklich schlechten Wetter an der Küste durch Unfälle den Tod fanden. So musste er sich mit einer gefundenen Kiste zufrieden geben. Das war aber nicht genug für die VOC. Pelsaert wurde nicht nur getadelt, weil er das Schiff in Stich ließ und die Gesellschaft so große Verluste hatte. Nein! Er musste mit seinem gesamten Vermögen, all seinem Eigentum gegenüber der VOC haften, da es Gerüchte gab, er hätte einen privaten Handel auf den Reisen betrieben. Dies war ein grober Verstoß gegen die VOC Gesetze. Als gebrochener Mann starb er im darauf folgenden Jahr. Wiebke Hayes ehrte man nach der Rückkehr als Held. Die VOC beförderte ihn zum Sergeanten.
Seitdem beschäftigt Historiker, Forscher, Schatzsucher die Frage „Wo ist das Wrack?“ Es gab leider keine klaren Angaben über den Ort des Untergangs. Diese Suche erschwerte sich auch deshalb, weil von 1629 bis 1961 bei den Houtman Abrolhos Islands allein 15 Schiffe untergegangen sind.
Nach 211 Jahren, also 1840, hatte man erste Vermutungen über die Stelle. Es dauerte aber bis 1950. Dann konnten die Wissenschaftler in Auswertung aller Daten mit „Zuversicht“ äußern, dass sich das Wrack im Norden der Wallabi Group befinden müsste. Die Suchen dort waren erfolglos, musste es sein, weil das Schiff vor dem West Wallabi Island sank. Wie so oft in der Weltgeschichte half dann wieder einmal der Zufall. Mister Johnson, ein Langustenfischer aus Geraldton, findet 1963 das Wrack in nur 6 Meter Tiefe. Die Bergung durch Max Cramer rettet viele wertvolle Gegenstände, die man noch heute im Museum von Geraldton besichtigen kann, für die Nachwelt.
Leseprobe aus “Und immer weiter zur Sonne“
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jumbuck
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Post by jumbuck »

Vielen Dank für diesen äußerst interessanten Beitrag, ditido! Kann man wirklich wie gefesselt mitlesen :D

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ditido
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Post by ditido »

Danke jumbuck, dass sich wenigstens Einer für diese hochinteressante Geschichte, die sich eben damals an der Westküste von Australia ereignete, interessiert. Viele solche Episoden habe ich beim Studium der Geschichte um DU gefunden und aufgeschrieben. Da Du das Australienbuch ja besitzt, weißt Du das auch.
Beim Batavia Drama erscheint mir wichtig, dass hier die Namen der wohl ersten Weißen, die in Australia, wenn auch unfreiwillig, lebten, benannt sind. In den mir zugänglichen Quellen habe ich nichts über das Schicksal von Wouter Loos und Jan Pelgrom de Bye gefunden. Im Museum von Geraldton werden beide Namen nicht mal erwähnt.
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