Die „Sonderbehandlung“ der indigenen Tasmanier

Versuch einer beschreibenden Analyse - Situation der Ureinwohner in Vergangenheit und Gegenwart / Hier wird nur gelesen, Diskussionen bitte im Forum "Land und Leute / Teil 1" oder im Thema "Geschichten der Ureinwohner Australiens".
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ditido
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Die „Sonderbehandlung“ der indigenen Tasmanier

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Die „Sonderbehandlung“ der indigenen Tasmanier
Teil 1
Bis vor 13.000 Jahren v. Ch. bestand zwischen Australien und der heutigen Insel Tasmanien eine Landbrücke. Auf der gelangten vor 30 bis 40 Tausend Jahren auch die Urein-wohner, von Victoria weiter ziehend, nach dort. Und es ist durch genetische Untersuchungen gesichert, diese Einwanderungsströme kamen während der letzten Eiszeit über das heutige Neuguinea zur Cape York-Halbinsel. Und dann weiter durch einen Flusskorridor bis ins Darling-Becken und sogar in die Great Sandy Desert. Von dort aus südwärts konnte Tasmanien, damals eine Halbinsel, erreicht und ebenso wie Great Victoria Desert besiedelt werden So standen die tasmanischen Aborigines ebenfalls in einem engen Verwandtschaftsgrad zu den Bewohnern von Neuguinea und den Melanesiern. Victoria soll von den ersten Aborigines schon mindestens vor 30.000 Jahren erreicht worden sein. Die Funde auf Tasmanien geben Hinweise, dass es wohl schon 5.000 Jahre früher war. Mit Ende der letzten Eiszeit stiegen die Wasserpegel der Ozeane gewaltig, man spricht von bis zu 200 Meter und mehr, an. Die Landbrücke verschwand unter einer Wasserstrasse, die wir heute als Bass Strait kennen. Die somit isolierten Ureinwohner ent-wickelten einige Besonderheiten, die sie von den Bewoh-nern Australiens unterschieden. So kannten sie keine Klei-dung. Sie rieben ihren Körper mit Tierfett, rotem Ocker und Holzkohle ein, was einen gewissen Schutz vor der Kälte bot, manchmal warfen sie sich auch ein Kängurufell lose über die Schulter. Auch feste Unterkünfte gab es nicht. Bei besonders schlechtem Wetter errichteten sie allenfalls Windschirme. Sie waren leidenschaftliche Jäger und ernähr-ten sich vor allem von Kängurus. Auch die Opossums, die meist von den Frauen gefangen wurden, schmeckten ihnen. Nur Fische lehnten die Insulaner strikt ab. Wohl aber tauchten sie nach Muscheln, Krebsen und anderen Schalentieren. Auch hier zeigten die Frauen ihre Geschicklichkeit, denn viele Männer konnten nicht schwimmen und mieden das Wasser.
Die 12.000 Jahre der Isolierung führten dazu, dass diese Tasmanier weder Bumerangs, Knochennadeln, Speerschleudern und Steinäxte kannten. Auch Hunde gab es nicht. So wussten sie zum Beispiel nicht, wie man Feuer entzündet. Das Hüten der Flamme war eine wichtige und lebensnotwendige Maßnahme im Verband. Ob sie die Bedeutung des Ockers für die Songlines kannten? Es ist wahrscheinlich. Aber ich habe darüber nichts gefunden. Außer das die regelmäßigen traditionellen Wanderungen vom Landesinneren zur Küste zum festen Ritus einer Sippe ge-hörte. Die Ureinwohner gehörten dem Toogee Volk an. Die Isolation, die geringe Population, die weit auseinander lebenden Gruppen und eine geringe Lebenserwartung sind wohl die Hauptgründe für die kulturellen Defizite zu den Ureinwohnern Südaustraliens.
Erstaunt registrierten die Europäer, dass die Ureinwohner, als man ihnen Fisch zum Essen anbot, fluchtartig den Strand verließen. Die Theorie, dass der Fisch wegen des geringen Fettgehaltes vom Speisesplan verschwand, stimmt sicher nicht. Die Ureinwohner hatten wohl leidvoll in der Vergangenheit erfahren, wie tödlich Fischgenuss ist, wenn durch Dinoflagellaten bedingte Algenblüten (red tide) in den Organismus kommen. Um weitere solcher Katastrophen zu verhindern, kann sich eine konservative Lebensweise entwickelt haben, die das Überleben der Population auf Kosten einer wertvollen Nahrungsquelle sicherte. Der Verlust von Knochennadeln zur gleichen Zeit deutet auf einen Zusammenhang beider Ereignisse hin. Wahrscheinlich konnten die Produzenten der Knochennadeln ihre Fähigkeiten nicht mehr rechtzeitig weitergeben, da sie während einer Massenvergiftung umkamen.
Eine weitere, und gar nicht so abwegige Erklärung ist, dass der Anstieg des Meeresspiegels ein Überangebot von wohlschmeckenden Abalonen (Meeresschnecken) und Langusten zur Folge hatte, die auch noch einfach zu bekommen waren. Das würde aber nicht die Furcht, mit der die Ureinwohner auf das Fischangebot reagierten, erklären.
Unterschiedliche Erfahrungen machten die weißen Entdecker auf Tasmanien mir den Ureinwohnern.
Irgendwie hatten die Franzosen kein Glück im Umgang mit den Ureinwohnern Tasmanien. Da war 1792 der Franzose Captain Marc-Joseph Marion du Fresne, der als erster Europäer in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern Tasmanien verwickelt war. Sehr interessant liest sich der Bericht, wie am 7. Mai 1792 die Franzosen ebenfalls wie die Ureinwohner unbekleidet zur Küste ruderten. Auf du Fresne und seine Mannschaft wartete eine Gruppe „glücklicher Wilder“, die in einem Garten Eden lebten. Nach anfänglich freundlicher Begrüßung sahen die Aborigines in der Landung eines dritten Bootes eine Bedrohung. Ein Hagel von Speeren und Steinen trieb die Franzosen wieder auf die Schiffe. Nicht ohne noch vorher durch eine gezielte Salve einen Ureinwohner zu töten und mehrere andere zu verletzten.
Der Franzose Joseph Bruni D’Entrecasteaux, der auf der Suche nach den Schiffen von Jean François de Galaup de La Perouse war, erforschte 1792/93 die Südküste Tasmaniens, den Derwent River und den Kanal zwischen Bruny Island und der Hauptinsel. An der Anlegestelle, dem Watering Place an der Recherche Bay, steht eine Tafel, die an die 21 Tage der Franzosen in Tasmanien erinnert. Die Besatzung fand hier alles, was man zum Leben brauchte. Die befürchteten Übergriffe der Ureinwohner blieben aus. Im Gegenteil. Am 7. Februar 1793 kam es sogar zu einem freundschaftlichen Treffen mit den Ureinwohnern.
Und auch viele Mitglieder der Schiffsbesatzung von Nicolas Baudin, dessen Namen wir bei der Erforschung der Küste Australiens immer wieder finden, wurden von den Aborigines am 14. Januar 1802 verletzt.
1856 wollten die Briten mit der Umbenennung von Van Diemens Land in Tasmanien auch den „blutigen Makel“ von der Insel waschen. Nicht nur die unmenschlichen Bedingungen für die Sträflinge, von denen viele nicht überleb-ten, begründeten diesen „blutigen Ruf“. Nein, auch die vielen Vernichtungsfeldzüge der Siedler, der Schafzüchter und des Militärs gegen die Aborigines fanden einen negativen Bekanntheitsgrad. Man vermutet, dass bei Beginn der Kolonisation etwa 6000 Ureinwohner auf der Insel lebten. Durch die Insellage war ihr Leben abgeschieden und iso-liert. Eigentlich sollen sie friedliche Menschen gewesen sein. Die Auseinandersetzungen mit einigen der frühen Besucher könnten durchaus auf Missverständnissen beruhen. Das änderte sich aber mit der Kolonisation und mit den Niederlassungen der Walfänger an den Küsten. Für diese „Straitsmen“, die eben im Gebiet der Bass Strait als Wal-fänger, Seehundjäger oder als Piraten ihrem Handwerk nachgingen, waren die Frauen der Ureinwohner willkommene Sklavinnen. Dass sich solches die Aborigines nicht gefallen ließen? Es ist klar. Nur was konnten sie schon groß ausrichten? Und es dauerte ja nicht lange, bis die „Eroberer“ mit Beginn der konzertierten Vernichtungszüge ein ganzes Volk im Visier hatten.
Was die Briten auf dem Hauptland vergeblich versuchten, nämlich das Volk der Ureinwohner einfach zu liquidieren, das schafften sie auf Tasmanien in „nur“ 72 Jahren.

Lest in Teil 2, wie es weiter ging.
ditido
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Die „Sonderbehandlung“ der indigenen Tasmanier
Teil 2
Tasmanien war bis 1816 eine Insel der Ausgestoßenen, eine abgeriegelte Strafkolonie, die vom Abschaum der britischen Armee bewacht wurde. In dieser Zeit wurden die Einheimischen von entflohenen oder bewaffnet ins Land entlassenen Sträflingen, sowie von Robbenjägern willkürlich erschossen, erschlagen, kastriert, verletzt, entführt und vergewaltigt. Kindern wurden bei lebendigem Leib die Köpfe abgerissen. Es gibt keinen Präzedenzfall, wo man einen Europäer für solche Schandtaten zur Rechenschaft gezogen hat. Besonders kritisch wurde die Lage für die Ureinwohner als die Briten wegen der Hungersnot 1806 die Sträflinge frei ließen. Regelrechte Bushranger Banden entstanden, die Schwarze oder Weiße überfielen und ermordeten.
Eine der wenigen menschlichen Stimmen in dieser Zeit verstummte leider schnell. 1810 versuchte Vize Gouverneur David Collins mit seinem Dekret, „dass jeder, der nachweisbar einem Eingeborenen Gewalt angetan hat oder ihn kaltblütig ermordet hat, beziehungsweise einen Mord veranlasst hat, so zu behandeln und bestrafen ist, als sei das Vergehen an einer zivilisierten Person verübt worden.“
Wenige Wochen danach starb Collins. Seine Androhung der Todesstrafe für Morde an den Einheimischen blieb unbeachtet. Danach gab es 1816 eine Proklamation in Bilderschrift von dem Gov. Davies, die man mit „Friss Vogel oder stirb!“ deuten kann.
Erst 1817 zerschlug der neue Vize Gouverneur William Sorell die mordenden Banden durch den gezielten Einsatz des Militärs. Doch was nützte die „Verordnung zum Schutze der Einheimischen“, wenn London immer mehr Menschen nach Tasmanien brachte. 1825 lebten 6.800 Sträflinge und eben so viele Siedler in Tasmanien. 1830 waren unter den 23.000 Weißen immer noch 10 Tausend Sträflinge.
Die ursprüngliche Zahl der Aborigines von 5.000 bis 6.000 wurde auf etwa die Hälfte reduziert. Obwohl nachweislich schon 1803 die ersten Siedler eintrafen begann die zivile Besiedlung der Insel um 1816. Bald wurde Weideland für über eine Million Schafen benötigt. Die „Landübernahme“ bedingte, dass die Ureinwohner nicht mehr ihre traditionellen Wanderungen vom Landesinneren zur Küste durchführen konnten. Außerdem wurden ihre natürlichen Jagdgebiete jetzt als Weideflächen gebraucht. Das war der Beginn eines Guerillakriegs, in dem die Ureinwohner die weit auseinander liegenden Hütten der Schafhirten für erfolgreiche Überfälle nutzten. Aus dem Hinterhalt töteten sie schon 1820 mit ihren auf 100 Meter ziemlich genau treffenden Speeren 13 Schafzüchter. Der „Black War“ (1820 bis 1834), ein Krieg zwischen Weißen und Ureinwohner, der 14 Jahre von beiden Seiten unerbittlich geführt wurde, begann eigentlich schon 1804. Durch ein „Missverständnis“, wie es die militärische Führung bezeichnete. Soldaten des 102. Regimentes erschossen bei Risdon Cove ohne Grund, wahrscheinlich aus Angst, friedliche Ureinwohner, die eine Her-de Kängurus vor sich hertrieben. Die Welle gegenseitiger unversöhnlicher Gewalt war eröffnet, die ihren Höhepunkt in der Operation „Black Line“ fand. 5000 Soldaten bildeten im Abstand von drei Metern nebeneinander eine Linie, um die Ureinwohner zur Forestier Halbinsel abzudrängen. Aber das misslang gründlich. In zwei Monaten fing man einen Knaben und einen verwundeten Mann.
Die Antwort der Briten auf den Tod der Schafhirten war typisch und zeitgemäß: Für jeden getöteten Weißen mussten vier Ureinwohner sterben. So reduzierte sich deren Zahl innerhalb von fünf Jahren auf 1200! Da gab es zwar die Londoner Direktive von 1824, die Aborigines gut zu behandeln. Aber weder Gouverneur McArthur noch die Siedler kümmerte dies. Zumal in diesen fünf Jahren rund 20 Tau-send Menschen aus Großbritannien nach Tasmanien kamen. Darunter 6000 freie Siedler, die Land brauchten. Am schlimmsten empfinde ich die Verlogenheit des veramten britischen Landadel, der zusammen mit dem Klerus Kultur und Moral nach Tasmanien bringen sollte. In Auslegung des Bibelwortes „bevölkerten sie Tasmanien und machten es sich untertan“. Darunter verstanden sie die Ausrottung der Ureinwohner im direkten Konflikt, durch Pogrome, durch Hinterhalt und sogar Falleisen.
Nach einer Hetzkampagne der Presse, die die Gräueltaten der Weißen verschwieg und einzelne Übergriffe der Aborigines hoch spielte, verhängte Vize Gouverneur Arthur 1828 das „Standrecht gegen die schwarzen Eingeborenen“. Mehr noch. Es wurden Kopfgelder ausgesetzt. Für jeden lebend gefangenen erwachsenen Eingeborenen fünf Pfund, für jedes Kind zwei Pfund.
Auch der berühmte Nordpolarforscher Sir John Franklin, der von 1836 bis 1843 Gouverneur der Insel war, hat die Welle der Gewalt gegen die Ureinwohner zumindest geduldet. Er hat auch nichts dagegen unternommen, dass bis 1853 mit Port Arthur und Macquarie Harbour zwei der schlimms-ten und berüchtigtsten Gefängnisse der Welt mit allen mög-lichen Straftätern, eingeschlossen Kinder ab dem siebenten Lebensjahr, weiter existierten. Erst 1877 hat man Port Arthur geschlossen.
Bis 1830 lebten im besiedelten Gebiet nur noch 1900 Aborigines. Doch die Siedler vermuteten eine unvergleichlich höhere Zahl noch lebender „Feinde. Über bewaffnete 2000 Siedler und 3000 Soldaten versuchten in einer Zangenbe-wegung, die „Operation Black Line“ genannt wurde, die restlichen Feinde aufzuspüren und zu töten. Im Abstand von drei Metern nebeneinander marschierend wollten die über 5000 „Krieger“ die Ureinwohner zur Forestier Halbinsel abdrängen. Dies misslang gründlich. In zwei Monaten fing man einen Knaben und einen verwundeten älteren Mann.
Die „Befriedung“ des unzugänglichen Hinterlandes erfolgte anders. Per Annonce suchte die Regierung „eine zuverlässige Person mit gutem Charakter“, die mit dem unglücklichen Volk der Ureinwohner Kontakt aufnehmen sollte. Hiefür bewarb sich der Laienprediger George A. Robinson. Er versuchte durch Expeditionen rund um die Insel, die noch überlebenden Eingeborenen zu sammeln und zu missionieren. Er überredete immerhin 150 der überlebenden Ureinwohner schließlich zur Umsiedlung auf die Flinderinsel. Und die noch in den Bergen lebenden kleinen Restgruppen ließ er fangen oder töten. Auf der Insel Flinders Island wurde aus „Wilden“ eine „christliche Gemeinschaft“ gegründet. Die lernten jetzt an den Gott der Kolonialmacht zu glauben, zu beten, sich „anständig“ zu kleiden und in einem Ghetto Dorf zu leben. Nicht alle Eingeborenen aus den Bergen ließen sich kampflos gefangen nehmen. Diese „renitenten“ und „nicht bekehrbaren“ Schwarzen kamen in die Strafkolonie Macquarie Harbour. Dort quälten sie Aufseher und britische Strafgefangene derart, dass viele Ureinwohner Selbstmord begingen. Andere mordeten mit Absicht, um nach zwei Wochen Einzelarrest hingerichtet zu werden. Und eine Epidemie erlöste viele von ihren Qualen. So leb-ten 1836 nur noch 240 Eingeborene auf Flinders Island.
„Die Geschichte kennt kein Beispiel, wo ein ganzes Volk durch eine so humane und nachsichtige Politik entfernt worden ist“ sagte Robinson 1838 auf einem Vortrag in Syd-ney. Was für ein Zynismus! Zu dieser Zeit lebten in seinem Ghetto Dorf noch 86 Tasmanier. Was diese Menschen wert waren? Davon zeugt, dass man 1839 viele Skelette wieder ausgrub und sie an Wissenschaftler verkaufte.
1847 durften die übrig gebliebenen 47 abgestumpften, dahin siechenden Menschen, in das Reservat Oyster Cove bei Hobart zurückkehren. Das war aber keine humane Entscheidung der britischen Kolonialbehörde, sondern die Reaktion auf eine Petition an die Königin. Alkohol und Grippe als Haupttodesursachen reduzierte die Zahl der Überlebenden bis 1858 auf noch 15. Und bald blieben nur noch drei. Und um die entbrannte schon zu Lebzeiten ein Wettlauf der Wissenschaftler um deren Körper. Unglaublich!
Es liest sich wie ein Horror Roman, was britische „Ärzte“ mit dem Leichnam von William Lanney, dem letzten männlichen tasmanischen Ureinwohner machten:

Leute mit schwachen Nerven sollten Teil 3 lieber nicht lesen, um sich den Traum von Humanität bei der britischen Kolonialmacht zu erhalten.
ditido
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Die „Sonderbehandlung“ der indigenen Tasmanier
Teil 3
Vorsichtig skalpierte Doktor Crowther den Kopf des verstorbenen William Lanney und reichte den enthäuteten Schädel des Schwarzen wie verabredet durchs Fenster an einen Kumpan. Dann ging er in den benachbarten Sektionsraum, köpfte die Leiche eines Weißen, griff wieder zum Skalpiermesser, schnitt den Schädelknochen heraus und steckte ihn in die Kopfhaut des Schwarzen. Kurz nachdem Crowther das Krankenhaus verlassen hatte, betrat der Chirurg Doktor Stokell die pathologische Abteilung. Dort fand er Lanneys blutverschmierte Leiche "mit einem Schädel, der locker in der Haut rollte", wie er später vor einem Untersuchungsausschuss aussagte. Das geschah am Freitag, dem 4. März 1869, in Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens.
Am Samstag kehrte Doktor Stokell ins Leichenhaus zurück und hackte dem toten Lanney Hände und Füße ab, und noch am selben Tag wurde die verstümmelte Leiche beerdigt. Doch schon am Abend begab sich der Chirurg zum Friedhof, um sie wieder auszugraben und auf einer Schubkarre wegzuschaffen. Am Montag danach, so berichtete Stokells Kollege Crowther nun seinerseits dem Untersuchungsausschuss, habe das Hinterzimmer der Pathologie ausgesehen wie ein Schlachthaus, überall Blut und Fett: Stokell hatte William Lanney auf sein Skelett reduziert.
Grund des makabren Zanks zwischen den beiden Ärzten war die Leiche des letzten männlichen tasmanischen Ureinwohners. Crowther arbeitete für das Royal College of Surgeons in London, das vor allem an dem Schädel interessiert war. Sein Widersacher Stokell stand im Dienst der Royal Society of Tasmania, die für ihr Museum in Hobart ein komplettes Skelett begehrte. Anthropologie und Ethnologie steckten in ihren Anfängen. Als sie sich als Wissenschaften etablierten, waren die Tasmanier als Untersuchungsobjekte sehr genehm.“
Die Ehefrau von William Lanney hieß Truganini, die am 8. Mai 1876, neun Jahr nach ihrem dritten Ehemann, in Hobart verstarb.
Truganini kam so um 1812, das genaue Geburtsdatum ist unbekannt, in einer Hütte auf der Bruny Island- D’Entrecasteaux Channel Area auf die Welt. Ihr Vater war ein Mangana- Stammesältester des südöstlichen Stammes des Volkes der Palawah, die seit über 30.000 Jahren in der Region lebten. Das Kind erlebte den aussichtslosen Kampf ihres Volkes gegen den weißen Mann. Sah, wie viele ihrer Stammesmitglieder ermordet wurden oder durch Krankheiten starben. Und schon in dem aufwachsenden Kind stärkte sich die Überzeugung, alles zu tun, um kein passives Opfer in diesem Kampf zu werden.
Das ist die vielleicht wichtigste Initialüberzeugung in ihrem Leben, eine Grundentscheidung, die ihr half, alles auf sie noch Zukommende zu überleben.
1829, mit 17 Jahren, mußte sie zusehen, wie ihre Mutter von Walfängern getötet wurde. Einfach so! Ihre Schwester wurde erschossen. Ohne Grund! Und Truganini natürlich vergewaltigt. Und ihren zukünftigen Mann haben Holzfäller beide Hände abgehackt und ihn dann ins Wasser geworfen. Ihn ertrinken lassen, weil er ein Aborigine war. Wieso taten die Weißen so empört und entrüstet, wenn die Ureinwohner sich wehrten?
Langsam wurde nicht nur die Krone, nein auch die Weltöffentlichkeit auf die inhumane Politik in Tasmanien aufmerksam. Die „Befriedung“ des unzugänglichen Hinterlandes erfolgte nun anders. Dafür hatte man diesen George A. Robinson gefunden. Ein gescheiterter Bauunternehmer und ein ungeübter Prediger. Zu Truganini und ihrem damaligen Ehemann sagt Robinson, er sei ihr Freund und würde sie schützen. Er versprach ihnen, dass, wenn sie mit ihm kommen würden, sie Unterkünfte und Essen bereitgestellt bekämen und ihre Religion respektiert würde. Er stellte ihnen auch in Aussicht, dass sie eines Tages wieder zurückkehren könnten. Truganini erkannte bald, dass Robinsons Versprechen für ihr Volk die einzige Möglichkeit war zu überleben. Sie, ihr Mann Wooraddy und andere stimmten zu, Robinson zu helfen. Sie verbrachte die nächsten fünf Jahre damit mit Robinson die verbleibenden Aborigines zu finden. Mehrmals verhinderten sie, dass der „Missionar“ getötet wurde, einmal rettete Truganini ihn sogar vor dem Ertrinken.
So halfen sie ihm, die Ureinwohner zu finden und zur „Übersiedlung“ auf die Flinders Insel zu überreden.
Um 1835 hatten fast alle Aborigines zugestimmt auf Flinders Island umzuziehen, wo bereits Unterkünfte bei Wybalenna errichtet waren. Hier wollte Robinson den Aborigines europäische Gewohnheiten lehren.
Die Ureinwohner glaubten, Flinders Island wäre ihr vorübergehendes Heim und dass sie freie Menschen wären, die solange geschützt würden, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten. Aber stattdessen wurde die Insel ein Gefängnis und viele wurden krank und starben. Eine Epidemie erlöste viele von ihren Qualen. So lebten 1836 nur noch 240 Eingeborene auf Flinders Island.
Obwohl sie zwischenzeitlich seine Geliebte war, erkannte die junge Frau bald die Verlogenheit der Versprechen des Robinson.
Und noch heute gibt es Sydneysider, die Robinson für einen verkannten und zu unrecht verachteten Wohltäter halten. Und sie leugnen auch, dass zurzeit der oben angeführten Rede nur noch 86 Tasmanier in dem Ghetto lebten, dass man 1839 viele Skelette wieder ausgrub und sie an Wissenschaftler verkaufte.
Bei einer meiner Buchlesungen ist es deshalb wegen der maßlosen Erregung einer Lehrerin aus Manly, einer Deutschaustralierin, beinah zum Eklat gekommen. „Üble Nachrede und Lüge!“ rief sie aus. Was soll man gegen solche Geschichtsverbiegung sagen? Eine Deutsche, die wahrscheinlich die Vergangenheit im ehemaligen Land auch leugnet?
Aber Robinson wurde ob dieser so positiven Darstellung 1839 zum Hauptprotektor der Ureinwohner von New South Wales, der Region um das heutige Sydney, ernannt. Er nahm Truganini und 10 weiter Ureinwohner mit nach NSW. Hat sich seitdem nicht mehr um das Schicksal der „Verdammten“ auf Flinders Island gekümmert. Zusammen mir zwei Frauen und zwei Männern floh Truganini aus der „Obhut“ Robinsons. Sie wurden zu Buschräubern. Wegen Mord an zwei Walfängern in der Port Phillip Gegend nahm man die Bande fest. Beide Männer wurden gehängt, die Frauen freigesprochen und zurück ins Reservat Flinders Island geschickt. Das war 1842. Seitdem siechten die „freiwilligen Übersiedler“ dort vor sich hin. Nach einer Eingabe an die Queen ließ man 1847 die letzten 47, dort noch abgestumpft dahin siechenden, Menschen zurückkehren In das Reservat Oyster Cove bei Hobart. Alkohol und Grippe waren die Haupttodesursachen. 1858 lebten noch 15 und bald waren nur noch drei. Und um die entbrannte schon zu Lebzeiten der erwähnte „Wettstreit“ der Wissenschaftler um deren Körper.
Ich glaube, dass die Zeit ab 1847 zu der menschlich bedeutsamsten Periode im Leben von Truganini gehört. Sie zog mit den anderen in die verlassenen Unterkünfte bei der Oyster Cove auf dem tasmanischen Festland. Natürlich waren die Bedingungen zum Leben zu wenig und zum Sterben ein kleines Bisschen zu viel. Aber man war wieder auf Tasmanien. Erlebte die vertrauten Strände, konnte im Sand sitzen, Muschel sammeln und in Erinnerungen schwelgen. Es war wieder Heimatluft, die man einatmete. Sie versuchte wenigstens durch Zuspruch und Beispiel das Elend und die Not der anderen zu lindern. Mußte aber zusehen, wie einer nach dem anderen neben ihr verstarb.
Manche sagen, dass dies ihr wieder Kraft gegeben habe, denn sie war die letzte Überlebende der Gruppe.
Noch auf Oyster Cove heiratet sie ihren dritten Mann, William Lanney. 1869 verstarb William. Er war der letzte männliche Ureinwohner. Über das unrühmliche Theater mit seinen Leichnam habe ich hier schon berichtet.
So kam Truganini 1873 nach Hobart, wo sich ein Freund um sie kümmerte.
Ziemlich schnell wurde die „alte“ Ureinwohnerin, die mit ihren roten Haarband und auch ein Pfeifchen schmauchend durch die Stadt ging, oder beim Muschelntauchen, aber auch auf der Jagd gesehen wurde, zu einer bekannten Persönlichkeit.
Das umso mehr, als allmählich ihr Schicksal und das der Angehörigen ihres Volkes erzählt wurde. Das rote Haartuch symbolisierte die Stammesfarbe der Palawah, denen sich Truganini immer noch zugehörig fühlte. Obwohl sie nunmehr die letzte lebende Ureinwohnerin war!
Am 8. Mai 1876, neun Jahre nach ihrem letzten Ehemann, starb Truganini in Hobart. Nicht unbeachtet und auch nicht in aller Stille, wie die britische Administration wohl gehofft hatte.
Ihr einziger Wunsch auf dem Totenbett war, nicht zerschnitten zu werden. Das entsprach nicht dem Willen der Royal Society of Tasmania. Doch der Kolonialminister lehnte deren Forderung nach der Leiche für wissenschaftliche Zwecke ab, ließ sie heimlich am 11. Mai kurz vor Mitternacht im Gelände des Frauengefängnisses in Hobart in Anwesenheit von nur 25 Personen beerdigen. Tausende Menschen, die am 12. Mai an den Straßen von Hobart standen, um sich von der letzten Tasmanierin zu verabschieden, warteten vergeblich.
Doch die Achtung vor dem letzten Willen einer Aborigine ist wohl nicht das Ding der Briten. 1878 wurde Truganini exhumiert. Das Skelett war bis 1947 im Museum der Royal Society in Hobart in einer Vitrine ausgestellt. Der zunehmende Widerstand unter der schwarzen und weißen Bevölkerung veranlasste die Regierung dann doch, einer Feuerbestattung am 30. April 1976 zuzustimmen. Die Asche der letzten echten Tasmanierin wurde kurz vor ihrem hundertsten Todestag von einem Schiff der Marine nahe Bruni Island, wo sie geboren wurde, ins Meer gestreut.
Damit endet die für die Briten unrühmlich Geschichte der Ureinwohner Tasmaniens.
Ungeachtet der Behauptung, dass Truganini die letzte Ureinwohnerin gewesen sei, gibt es auch andere Auffassungen, die auf aus Mischehen entstandene heutige Bewohner Tasmaniens verweisen, auf Nachkömmlinge von Ureinwohnern, die damals auf das Festland gegangen oder verschleppt wurden. Wie man das auch vom tasmanischen Tiger behauptet.
Trotzdem bleibt Truganini in der Erinnerung als eine stolze und mutige Überlebende in einer Zeit der Brutalität, der Notlage der Ureinwohner und dem Mangel an Feingefühl, Takt und Einfühlungsvermögen der britischen Administration un der Museen.
Heute leben rund 4000 Nachfahren der Aborigines in Tasmanien und den Inseln der Bass Strait. Alle Ansprüche auf Landrückgabe, auf Entschädigung, auf die Rückgabe der heiligen und historischen Stätten wurden entweder nicht beantwortet oder mit dem Hinweis, dass die Antragsteller keine vollblütigen Aborigines sind, abgelehnt.

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